Jeder Tag bringt neue Herausforderungen
7:40 Uhr: Janick Kretschmar hat Glück. Bis zu seiner Dienststelle sind es nur zehn Minuten mit dem Bus. "Da muss ich nicht so früh raus", lacht der 21-Jährige. Er lässt den Tag auf sich zukommen, denn auch nach sechs Monaten warten in der Fördergruppe der Caritas-Werkstätte immer noch Überraschungen auf ihn. Dass er nach der Mittleren Reife hier in March-Neuershausen gelandet ist, war eher Zufall. "Mit dem Freiwilligendienst wollte ich Zeit überbrücken, um zu klären, wie es jobtechnisch weitergeht. Dann wurde mir diese Stelle zugewiesen."
8:45 Uhr: Das gemeinsame Frühstück ist vorüber. Janick hat den Kaffee gemacht und einigen beim Essen geholfen. Er beugt sich zu Max* herunter, der ihm etwas ins Ohr sagt. Dann verschwinden beide in Richtung Toilette. Max ist Mitte 20 und fährt mit seinem E-Rollstuhl voraus. Eine Blasenentzündung macht ihm zu schaffen und er ist froh, einen gleichaltrigen, männlichen Helfer für Transfer und Kleiderwechsel zu haben.
9:35 Uhr: Plötzlich geht alles ganz schnell. Emma* zuckt in ihrem Rollstuhl, sie beginnt zu röcheln. Solche Anfälle gehören zwar zum Alltag, doch diese Form hat Janick noch nie erlebt. Er ruft seine Anleiterin Sabine Grillo, die Emma ein Medikament gibt, das kurz darauf zu wirken beginnt. Es wird nicht der letzte Notfall an diesem Tag bleiben, aber Janick hat gelernt, damit umzugehen. "Am Anfang ist es schwierig, aber man gewöhnt sich daran und weiß bald, wie man sich richtig verhält."
11:20 Uhr: Gudrun* hatte vor kurzem ihren 65. Geburtstag. Da sie krank wurde, musste das Fest in der Gruppe verschoben werden. Jetzt fragt sie nach dem Termin, den sie schon wieder vergessen hat. Janick schaut im Kalender nach. Laut und deutlich nennt er das Datum, denn Gudrun hört schlecht und liest das meiste von den Lippen ab. Die Kombination aus geistiger Behinderung und Demenz ist eine Herausforderung für alle. Doch das reizt Janick: "Nach dem Probetag war mir klar, dass ich in der Fördergruppe bleiben möchte."
12:15 Uhr: Für Abwechslung sorgt das täglich wechselnde Programm: Theater, Reiten, Schwimmen. Heute ist Kochtag. Es gibt Toast Hawaii und Gurkensalat. Bei der Zubereitung helfen alle, so gut sie können. Janick püriert das Essen, damit auch die in den Genuss kommen, die nicht beißen können. "Sieht zwar nicht so toll aus, schmeckt aber original nach Toast Hawaii."
13:45 Uhr: Mittags macht jeder aus der Gruppe etwas anderes. Johann* spielt Janick gerne Streiche. Dieses Mal versucht er unbemerkt den Schuh des BFDlers zu entführen, scheitert aber knapp. Janick lässt sich auf die Spielchen ein, auch wenn sie ihn manchmal nerven. "Eine Portion Humor und eine Packung Geduld braucht man hier schon."
14:10 Uhr: Janick steht wieder in der Küche. Er bereitet Waffeln und Kaffee für später vor. Eine halbe Stunde Mittagspause war vorgesehen, "doch wenn was dazwischen kommt, klappt das eben nicht". Stressige Tage sind für ihn okay, denn "ich trage gerne Verantwortung. Außerdem bin ich voll ins Team integriert und das Arbeitsklima stimmt".
15:50 Uhr: Nach Waffeln und Kaffee wird es ruhiger. Janick verabschiedet sich von Max, Emma, Johann und den anderen, bevor er in den Feierabend geht. Er hat gelernt, die psychische Belastung des Tages nicht mit nach Hause zu nehmen: "Ich habe Hobbys, die mich auf andere Gedanken bringen." Heute Abend hat Janick aber etwas anderes vor. Er will eine Bewerbung schreiben. "Der BFD hat mich motiviert, eine Ausbildung zum Heilerziehungspfleger zu machen." Wenn alles klappt, kann er nach Ende der Dienstzeit in March bleiben. Darüber wäre nicht nur die Gruppe glücklich. Denn auch Janick schätzt es, hier gebraucht zu werden. "Am schönsten ist, wenn sich die Leute freuen, dass ich morgens wieder komme."
*Name geändert